Die Diagnose Asperger-Syndrom gewinnt zunehmende Bekanntheit und wird deshalb vermehrt gestellt. Circa ein Prozent der Bevölkerung weist leichte autistische Züge auf, bzw. hat das
Asperger-Syndrom. Das Syndrom kann sich bei den Betroffenen zum ersten Mal bereits im Kindes- oder Jugendalter bemerkbar machen, aber genauso auch erst viel später im Leben, in allen Phasen des
Erwachsenenalters.
Rückblickend waren häufig auch bei später diagnostizierten Personen die Besonderheiten des Asperger-Syndroms bereits im Kindheitsalter bemerkbar, jedoch stellten sie zu diesem Zeitpunkt für die
betroffene Person oder ihr Umfeld kein Problem dar. Die Diagnose wird oftmals erst dann gestellt, wenn die betroffene Person unter den Schwierigkeiten des Syndroms oder seinen
Begleiterscheinungen leidet.
Die Diagnosekriterien des Asperger-Syndroms oder der Autismus-Spektrum-Störung, zu der das Asperger-Syndrom gezählt wird, umfassen hauptsächlich zwei Merkmale: qualitative Abweichungen in
sozialen Interaktionen und repetitive Verhaltensweisen oder Interessen.
Zu den Besonderheiten der sozialen Interaktionen gehören zum Beispiel fehlender Blickkontakt, eigene Sprachmelodie, auffällige Stimmmerkmale, reduzierte Mimik und Gestik,
unbeholfene Körpersprache und wörtliches bzw. bildliches Verständnis der Sprache.
Zu repetitiven Verhaltensweisen und Interessen gehören zum Beispiel feste Tagesabläufe und Routinen, mangelnde Flexibilität, Schwierigkeit, sich auf Neues einzulassen und klar
umrissene Interessenbereiche.
Dabei ist zu beachten, dass nicht alle Auffälligkeiten vorhanden sein müssen, um die Diagnose Asperger-Syndrom zu stellen.
Die Manifestation dieser Besonderheiten ist vielfältig und kann sich von Person zu Person sowohl in ihrer Qualität als auch im Ausprägungsgrad unterscheiden. Deshalb ist es wichtig, die typischen
Merkmale des Asperger-Syndroms zu kennen.
Zusätzlich zu den oben beschriebenen Merkmalen sind Menschen mit Asperger-Syndrom häufig sensorisch überempfindlich, z.B. lärmempfindlich, lichtempfindlich, berührungsempfindlich. Nicht selten
sind sie grob- und/oder feinmotorisch ungeschickt.
Ferner verursachen viele oder intensive Reize (Menschenmenge, Vieles, was gleichzeitig geschieht, unterschiedliche gleichzeitige Anforderungen etc.) bei Menschen mit Asperger-Syndrom schnell
Stress. Zudem ist die Bewältigung von Stress erschwert. Häufig sind auch die strategische Handlungsplanung, das Prioritätensetzen und die Impulskontrolle (sogenannte exekutive Funktionen) bis zu
einem gewissem Grad beeinträchtigt.
Vielfach haben Menschen mit Asperger-Syndrom auch Schwierigkeiten beim Erkennen von Emotionen bei sich selber und bei anderen Menschen. Typisch für Menschen mit Asperger-Syndrom sind auch eine
detailfokussierte Wahrnehmung und ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn.
Einige der Besonderheiten von Menschen mit Asperger-Syndrom sind je nach Kontext eine Stärke oder eine Schwäche. Zum Beispiel haben Menschen mit Asperger-Syndrom häufig bessere Merk- und
Konzentrationsfähigkeiten, vorausgesetzt, sie interessieren sich für das Thema. Weiter habe sie einen hoch entwickelten Gerechtigkeitssinn, Sinn für Details, viel Wissen über ihren
Interessenbereich und eine deutliche Tendenz zur Systematik. Zudem sind sie ehrlicher als andere Menschen und verwickeln sich seltener in Intrigen.
Im Gegensatz zu gängigen Vorurteilen haben nicht alle Menschen mit Asperger-Syndrom genieartige Fähigkeiten. Sie haben durchaus Sinn für Humor (auch wenn dieser vom üblichen Humor abweichen kann)
und sind fähig zur Empathie. Und schliesslich haben Menschen mit Asperger-Syndrom durchaus Interesse an anderen Menschen, wünschen sich Freundschaften und soziale Beziehungen.
Das Asperger-Syndrom ist nicht per se eine Störung, sondern ein Persönlichkeitstyp. Dieser ist sowohl mit Schwierigkeiten als auch mit Vorteilen verbunden. Je nach Ausprägung der Schwierigkeiten
und der Stärken, aber ebenso je nach sozialem Kontext, kann das Asperger-Syndrom zu einer Störung mit spürbarem Leidensdruck werden oder aber einfach zur eigenen Persönlichkeit gehören.
Aufgrund der Besonderheiten des Syndroms kommen einige psychische Störungen bei Menschen mit Asperger-Syndrom dennoch relativ häufig vor. Darunter sind Depressionen, Schlafstörungen, Ängste, Zwangsstörungen und Essstörungen. Ebenfalls häufig kommen Probleme in sozialen Interaktionen und Selbstwertprobleme vor.
Der Abklärungsprozess umfasst Interviews, Tests, Fragebögen und wenn möglich mindestens ein Gespräch mit Angehörigen. In der Regel werden insgesamt circa 5 Sitzungen benötigt.
Die Besonderheiten, die das Asperger-Syndrom ausmachen, auch wenn sie Schwierigkeiten darstellen, können nicht wegtherapiert werden. Neben der Behandlung allfälliger Begleiterkrankungen ist das Ziel der Behandlung, wenn nötig einige Fertigkeiten zu trainieren, zum Beispiel Kommunikations- und Interaktionsfertigkeiten oder den Umgang mit Stress und mit der Beeinträchtigung von exekutiven Funktionen (zum Beispiel Prokrastination, also wiederholtes Aufschieben von Aufgaben). Zum anderen besteht häufig das Ziel der Behandlung darin, sich mit dem Syndrom zu befreunden: Die eigenen Stärken zu erkennen, Schwierigkeiten zu akzeptieren oder konstruktiv mit ihnen umzugehen, eigene Lebensziele zu entwickeln bzw. diesen zu folgen.